Tag 72: Ferreiros(E)-Palas de Rei(E), 9h, 20°C



Es gibt eine Küche in der Herberge, aber kein Geschirr. Das ist wohl üblich in Galicien, aber doch recht unpraktisch. Wie üblich esse ich Brot mit Honig zum Frühstück, dazu Milch.
Heute werde ich zusammen mit Christoph laufen.



Es geht durch ländliche Gebiete, die manchmal einen mittelalterlichen Eindruck machen. Viele kleine Gehöfte.



Gegen Mittag kommen wir nach Portomarín, einer kleinen Stadt mit 2000 Einwohnern. Bei der Anlage des Belesar-Stausees wurde der Ortskern am Hang höher neu angelegt, neben der Kirche San Nicolas (Ortsmitte) wurden ein alter Brückenbogen (Ortseingang) und die Portalfront der Kapelle San Pedro abgetragen und am neuen Standort wieder aufgebaut (Quelle: Wikipedia).

Die Kirche San Nicolas, im Bild oben, sieht sehr kompakt aus, mit ihren Zinnen wie eine Wehrkirche. Stein für Stein wurde sie versetzt, ich bin den Bauleuten dankbar für ihre Mühen.



Eine Kapelle in Portomarin mit einem romanischen Portal, nur die Türe passt nicht ganz.



Einer der schönsten Horreo Gallego, die ich unterwegs sehe.



Mimese ist die Nachahmung der Umgebung von Lebewesen zur Überlistung von Fressfeinden. Hunderte Raupen laufen hier einer Reihe, dicht an dicht, wohl um eine Schlange zu imitieren.

Das hat jedoch Vögel oder andere Tiere nicht daran gehindert, eine zweite, ähnliche Reihe zu überfallen. Dort liegen nur noch tote und zerfetzte Raupen in der Reihe.



Die Landschaft ist grün, durch die regelmässigen und reichlichen Niederschläge.



Der Stechginster (Ulex Europaeus) bildet dichte und stachelige Hecken, die undurchdringlich sind für Menschen und Vieh. Stechginster wurde übrigens zu den 100 weltweit schlimmsten Eindringlingen (Neophyten) gewählt, da er sich weltweit unerwünscht ausbreitet.



Beim Vorbeilaufen an einer Bar sehen wir Michael aus Irland sitzen. Ich habe ihn in den letzten Tagen mehrfach getroffen. Er ist vor einigen Jahren von einem Hirntumor genesen, daher kann er nicht in der prallen Sonne laufen, auch, wenn die noch nicht sehr stark scheint. Er macht seine Kilometer daher vor allem am Morgen und Abend. Dies alles hindert den lebenslustigen Michael nicht daran, sich an einer Flasche Wein zu erfreuen. Ich nehme wie üblich einen Café.



Ein interessanter Bildstock, wenn auch recht grob gehauen.





Wir kommen nach Palas de Rei. Es sah den ganzen Tag über nach Regen aus, auch wenn die Sonne oft durchbrach. Zum Glück hat das Wetter gehalten, erst jetzt fallen die ersten Tropfen.

Es ist eine Woche vor der Karwoche, scheinbar ist dies eine Ausflugswoche für spanische Schulen. Hunderte Kinder sind unterwegs mit ihren Lehrern. Die Herberge ist entsprechend voll. Sie ist gross, mit vielen Etagen, aber fast komplett ausgebucht. Das Gedränge ist mir eigentlich zuviel, aber es ist nicht mehr weit bis Santiago, ich werde mich daran gewöhnen müssen.

Apropos Santiago.

Ich hatte bisher nicht an Santiago gedacht, habe auch keine konkreten Vorstellungen dazu. In die Vorbereitungsphase habe ich Santiago bewusst nicht einbezogen. Nun muss ich mich doch langsam mental darauf vorbereiten. Ich habe Angst davor, dort anzukommen. Ich stelle mir vor, wie grosse Mengen Menschen dort ein Spektakel abziehen a la Disneyland. Dazu Unmengen billiger Devotionalien. Dazwischen Gruppen deutscher Rentner und Lehrer, die besserwisserisch unendlich nerven, obwohl sie mit dem Luxusbus angereist sind - immerhin werden sie wohl die letzten drei Kilometer den Camino überfluten und mit Nordic-Walking Gehstöcken grosse
Strapazen vortäuschen. Als Topper befürchte ich amerikanische Reisegruppen, die in der Kathedrale mit ihrem breiten Texas Englisch laut ihre Bewunderung bekunden, und im Grunde nichts vom Wesen des Camino verstehen.

Oder doch nicht? Ich muss mich in Toleranz üben und auf die Zivilisation vorbereiten. Eigentlich könnte ich immer so weiterlaufen und beneide schon jetzt die Pilger, die den Weg auch wieder zurücklaufen.