Tag 46: Ostabat(F)-St-Jean-Pied-de-Port(F), 6h, 15°C



Heute ist ein milder, fast schwüler Tag mit hoher Luftfeuchtigkeit. Es ist ein relativ einfacher Tag geplant um morgen für den Pyrinäen-Übergang fit zu sein. 20 km sind es nach Saint-Jean-Pied-de-Port auf einer nur leicht profilierten Etappe.



Larceveau, ein kleiner Ort am Weg, immerhin mit einer Bäckerei. Die drei Franzosen von gestern in der Pension sehen wir übrigens nicht mehr. Sie sind mit uns aufgebrochen, gehen es jedoch sehr gemütlich an.



Dann kommen wir nach Gamarthe, einem kleinen Weiler mit 105 Einwohnern. Die Kirche sieht gedrungen aus. Eine Nachbarin hat den Schlüssel und öffnet uns.



Die Tür in der Tür. Eine sehr kleine Öffnung, ich muss mich tief verbeugen, um eintreten zu können. Ob das die Absicht hinter dem kleinen Eingang ist?



Auch die Inneneinrichtung ist interessant. Zwei Emporen, wohl aus Platzmangel in der Kirche angelegt. Aber schon alleine durch die demographische Entwicklung des Ortes wird dieser Platz momentan wohl nicht benötigt. Die Bevölkerungsentwicklung hat sich jedoch immerhin stabilisiert in den letzten Jahren. (Quelle Wikipedia)

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Saint-Jean-le-Vieux, der letzte Ort vor Saint-Jean-Pied-de-Port. Eine ganz spezielle Art von Grabsteinen auf dem Friedhof am Weg.



Erstmals in Frankreich sehe ich an diesem Grenzort nach Spanien eine Gedenkplatte zum Andenken an die Gefallenen vom Deutsch-Französischen von Krieg 1870/71.

Der Friede von Frankfurt wurde am 10. Mai 1871 in Frankfurt am Main unterzeichnet und beendete diesen Krieg. Frankreich musste die 1681 von Ludwig XIV. annektierten Gebiete, das Elsass (mit Ausnahme von Belfort) und einen Teil Lothringens einschließlich Metz an das Deutsche Reich abtreten. Dies belastete das deutsch-französische Verhältnis schwer. Die Rückgewinnung der verlorenen Gebiete und die Revanche am "Erzfeind" Deutschland stellten bis zum Ersten Weltkrieg ein Leitmotiv der französischen Politik dar. Die Schmach dieses Verlusts war einer der Auslöser für den Hass zwischen den beiden Völkern im Ersten Weltkrieg. Im Ersten Weltkrieg fielen 1.4 Millionen Franzosen und über 2 Millionen Deutsche.



Dann kommen wir nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Das Ende der Via Podiensis ist erreicht. Das Ende Frankreichs ist erreicht, 40 km Luftlinie vom Atlantik entfernt.

Ich habe Frankreich nun von einer sehr ruhigen Seite kennengelernt. Distanzierte, aber höfliche und freundliche Menschen. Gepflegte Landschaften, gut versorgte Tiere. Gutes Essen und Trinken, saubere Unterkünfte. Wenn die fremde Sprache nicht wäre, könnte der Weg genauso gut durch Deutschland geführt haben. Die beiden Völker sind doch recht verwandt miteinander.

Fazit der Wege Via Gebennensis und Via Podiensis: Sehr empfehlenswert, von Genf nach
Saint-Jean-Pied-de-Port zu laufen.




Ich bin glücklich und dankbar darüber, nicht am Ende der Pilgerschaft zu sein. Viele Pilger beginnen hier Ihren Weg nach Santiago oder beenden ihn, um nach der Durchquerung Frankreichs zu einem späteren Zeitpunkt den Rest des Weges zu gehen.



Die Nive de Béhérobie, der tieftste Punkt von Saint-Jean-Pied-de-Port. Über dem Fluss geht es aufwärts in die Berge. Doch das hat Zeit, morgen werden wir das angehen.



Am Abend rieglen ETA Sympathisanten die Hauptstrasse ab und demonstrieren lautstark. Ich nehme meinen Mut zusammen und fotographiere die Veranstaltung. Dafür ernte ich böse Blicke und Rufe. Willkommen in der Realität, werter tagträumender Pilger.



Im Gite Sous un Chemin d'Étoiles werden wir freundlich von der Herbergsmutter Jean Hitte aufgenommen. Simon war einkaufen, während ich lange nach einem Internetcafe gesucht habe. Es gibt auch eines, sehr unscheinbar in einer Gaststätte mit angeschlossenem Lebenmittelladen. Ein PC in einer Kammer, die so gross wie eine Telefonzelle ist.

Der Gite füllt sich fast vollständig mit Pilgern. Nach dem wochenlangen Alleinesein ist das etwas ungewohnt für mich. Simon kocht ein nahrhaftes, energiereiches Essen. Nachdem ich für Jean eine Lampe reparieren konnte, bin ich der Liebling der Herbergsmutter, es gibt Café gratis.

In der Nacht werde ich nochmals indirekt mit Terrorismus konfrontiert. Ich liege unten in einem Stockbett. Über mir ein Mann aus Irland, mit völlig entstelltem Gesicht, Händen und Armen. Alles war verbrannt und ist mit vielen Verformungen vernarbt. Als alle in den Betten liegen und eine halbe Stunde schlafen, beginnt das Bett zu schaukeln. Erst bin ich mir sicher warum. Der Mann atmet immer lauter. Nach einer Weile bemerke ich, dass er nicht sportlich tätig ist, sondern sich kratzt. Die Narben jucken wohl fürchterlich. Das Schaukeln, Stöhnen und Kratzen werden immer lauter und schlimmer, es traut sich aber niemand ein Wort zu sagen. Das geht fast die ganze Nacht durch, ich mache kaum ein Auge zu. Ich stelle mir vor, wie der Ärmste durch eine Bombe bei einem Attentat in Belfast verbrannt wird. Oder wie ein Brandsatz zu früh hochgeht, den er legen wollte.

Möglicherweise war auch ein normaler Unfall die Ursache, aber die Situation macht mir wieder einmal deutlich, dass das zivilisierte Europa noch weit von einer echten Zivilisierung entfernt ist. Baskenland, Irland, es gibt etliche Konfliktherde die jederzeit eskalieren können.