Tag 44: Pomps(F)-Navarrenx(F), 11h, 8°C



Ich bin sehr früh wach heute und fühle mich fit. Ein wunderbarer Morgen, sonnig, aber eiskalt. Eigentlich sollte es Frühstück geben im Geschäft der Herbergsleute, aber ich bin wohl zu früh dran, alles ist noch verschlossen.



Dann gehe ich los, zum Frühstück gibt es einen Apfel.



Nach dem Anstieg auf die Höhe ein klarer Blick auf die nahen Berge.



Die Chapelle de Coubin aus dem 12.ten Jahrhundert. Im Jahr 1569 wurde das dazugehörige Hospiz im Glaubenskrieg von den Hugenotten vollständig zerstört. Die Kapelle wurde ebenfalls stark beschädigt. Erst 1966 wurde sie von einer privaten Initiative, den Amis de Coubin, wieder restauriert.

In Frankreich sieht man viel von den blutigen Glaubenskriegen. Abgeschlagene Köpfe an Bildstöcken, beschädigte Kirchen und Klöster. An dieser Stelle möchte ich die Hintergründe dieser grausamen Zeit etwas umfangreicher beschreiben, da in den Reiseführern darüber wenig vermeldet wird.

"Anfänge der Reformation in Frankreich

Um die Zeit, als in Deutschland durch die Thesen Luthers die Reformation begonnen hatte (1517), gibt es in Frankreich eine Situation, in der das Luthersche Gedankengut auf fruchtbaren Boden fallen konnte:

Franz I., der Frankreich seit 1515 regierte, hatte zu dieser Zeit die katholische Kirche zunehmend zu einem Verwaltungsorgan des Staates aus- und umgebaut: Seit dem Konkordat von Bologna 1516 hatte er das Recht, die hohen Ämter der französischen Kirche nach eigenem Willen zu besetzen. Er nutzte dies geschickt, um den französischen Hochadel in den entsprechenden Positionen unterzubringen und ihn sich auf diese Weise zu verpflichten. Die Infrastruktur der Kirche war für Franz ebenfalls von Bedeutung:
Ihre Präsenz in allen Städten und Dörfern, die hohe Reichweite, die die Pfarrer in ihren Gemeinden erzielen konnten, und die Familienregister, die die Pfarreien führten, waren Elemente, die er für verwaltungstechnische Aufgaben, zum Beispiel die Veröffentlichung von Edikten, einspannen konnte.

Insbesondere in Paris führte diese Verweltlichung zu Widerspruch von humanistischen Kreisen, insbesondere um Erasmus von Rotterdam und Jacques Lefèvre d'Étaples. Um 1520 beginnt man, in diesen Zirkeln die Thesen Luthers zu diskutieren, die die heilige Schrift zum Maßstab des Glaubens machen und die Trennung von Staat und Kirche einfordern. Die theologischen Thesen Luthers werden zunächst auch vom Königshaus eher positiv aufgenommen.
Franz I., ohnehin sehr aufgeklärt und aufgeschlossen zeigt sich ebenfalls gegenüber den theologischen Aspekten der beginnenden Reformationsbewegung nicht abgeneigt. So hält er zum Beispiel über Lefèvre seine schützende Hand, als gegen diesen nach einer Abhandlung über Maria Magdalena ein Prozess wegen Ketzerei angestrengt worden war. Die Reform einer Kirche von innen heraus ist, zumindest was die theologischen Deutungen angeht, nichts, was Franz I. fürchten müsste.
Zunächst einmal darf also um 1520 herum der reformatorische Gedanke auch in Frankreich Fuß fassen. Von den Humanisten findet er auch rasch seinen Weg ins gehobene Bürgertum, wo die vorhandenen weitreichenden Handelsbeziehungen nicht nur Waren, sondern auch Ideen schnell verbreiten helfen.

Beginnende Verfolgung

Sehr schnell setzt jedoch eine katholische Gegenbewegung ein. Die Amtsträger der Kirche sehen ihre Lehren durch die aufkommende Bewegung gefährdet: 1521 wird Luther vom Papst exkommuniziert, die Pariser Universität Sorbonne verdammt seine Lehren.

Franz I. gerät dadurch zunehmend unter Druck, und zwar aus zwei Gründen:

* Der erste ist innenpolitischer Natur: Nach 1520 wird schnell deutlich, dass die Reformation eben nicht nur eine theologische Geschichte ist, die sich in den Studierzimmern der Gelehrten breit macht, sondern dass die Thesen die bestehende klerikale (und eng damit verbunden auch die weltliche) Machtstruktur
anzugreifen beginnen.
* Zum zweiten befindet sich Franz I. zu dieser Zeit mit den Habsburgern, genauer gesagt, mit dem deutschem Kaiser Karl V. in einem schweren Konflikt. Frankreich ist über die Niederlande, Deutschland und Spanien von den Habsburgern in die Zange genommen, in Norditalien befindet sich Frankreich im offenen Krieg mit den Habsburgern. Würde Franz der Reformation in Frankreich freien Lauf lassen, so hätte er auch noch Rom gegen sich, und Karl V., der 1521 über Luther die Reichsacht verhängt hatte, wäre - dann von Rom unterstützt - von einer Invasion Frankreichs nicht mehr abzuhalten gewesen. Auch diese außenpolitische Überlegung zwingt Franz dazu, sich mehr und mehr vom Protestantismus zu distanzieren.

So kommt es zunehmend zu Repressalien gegen die Protestanten, die sich zu einer Verfolgung zumindest des öffentlichen Protestantismus ausweiten: Die erste Hinrichtung eines französischen Protestanten ist für den 8. August 1523 belegt, als der Augustinermönch Jean Valliére in Paris am Pfahl verbrannt wird.

Untergrundkirche

Der Protestantismus wird bis etwa 1530 zunehmend in den Untergrund gedrängt. Ein Teil der Protestanten flieht, unter anderem in die reformierten Orte der Schweiz, wo Ulrich Zwingli gerade dabei ist, die katholische Kirche komplett zu entmachten. Ins politische Aus gedrängt, treten die Protestanten aus dem Untergrund jedoch zunehmend provokativer auf. Auf Plakaten wird die Messe der Katholiken als Götzendienst bezeichnet (1534), Marienstatuen werden verunstaltet.
Etwa um 1533 schließt sich Johannes Calvin in Paris dem Protestantismus an. Bis zu dieser Zeit wäre auch er eher als katholischer Humanist denn als Reformierter zu bezeichnen. Nach einer protestantisch gefärbten Rede von Nicolaus Cop, des Rektors der Universität Paris, die höchstwahrscheinlich unter Beteiligung Calvins entstand, müssen beide aus Paris fliehen.
Doch trotz der Unterdrückung erhält die Bewegung noch immer Zulauf. 1546 bildet sich in Meaux die erste protestantische Gemeinde in Frankreich. 1559 findet in Paris die erste Nationalsynode der reformierten Christen Frankreichs statt. Zu Beginn der 1560er Jahre haben die reformierten Untergrundkirchen etwa zwei Millionen Anhänger, was in etwa zehn Prozent der französischen Gesamtbevölkerung entspricht.
Diese reformierten Gemeinden sind jedoch nicht mehr lutherisch geprägt: Die Verfolgung hat enge Bande der französischen Reformierten zu dem in Genf lebenden Calvin entstehen lassen. Zwischen 1535 und 1560 durchdringt zunehmend der Calvinismus das französische Protestantentum, und der Calvinismus ist es, der
den Dissidenten Zulauf verschafft. Jetzt kommt auch der Name "Hugenotten" auf.

Die Hugenottenkriege

1547 stirbt Franz I., sein Sohn Heinrich II. besteigt den Thron Frankreichs. Er setzt die Repression gegenüber den Hugenotten unvermindert fort. Etwa um diese Zeit beginnt das Habsburgerreich in eine Vielzahl von Kleinstaaten zu zerfallen: Kaiser Karl V. bekommt die Reformation nicht mehr unter Kontrolle, und der Kompromiss des "Cuius regio, eius religio" tat ein Übriges zur Spaltung des Kaiserreiches.

Heinrich II. möchte ähnliche Zustände wie in Deutschland in jedem Fall verhindern. Zunehmend haben sich jetzt auch Adelige den Hugenotten angeschlossen, und eine Übereinkunft nach dem Augsburger Prinzip für Frankreich hätte die unter Franz I. erfolgreich verlaufende Zentralisierung Frankreichs schwer beschädigt. Damit beginnt endgültig die politische Diskriminierung des Protestantismus in Frankreich.

Eine neue Einrichtung und drei Edikte reichen, um die Hugenotten mehr und mehr zu unterdrücken: Da ist erst einmal die Einrichtung der chambre ardente in Paris, einer Kammer, die die hugenottischen Parlamentsabgeordneten verfolgt. Im Juni 1551 wird dieses Prinzip im Edikt von Châteaubriand dann auch auf die Provinzparlamente ausgedehnt. Das Edikt von Compiègne folgt im Juli 1557: "die Ordnung in irgendeiner Weise störende" Protestanten werden der weltlichen Gerichtsbarkeit unterstellt; die Verurteilung wegen Häresie lässt Heinrich noch in den Händen der Kirche. Den Schlusspunkt setzt er dann am 2. Juni 1559 im Edikt von Écouen: Von nun an dürfen die Gerichte für Häresie nur noch die Todesstrafe verhängen. Kurz nach dem Edikt stirbt Heinrich.
Unter Heinrichs Sohn Franz II. hält die begonnene Vertreibung an. 1562 überfallen katholische Soldaten bei Vassey Protestanten während eines Gottesdienstes. Die Bartholomäusnacht 23./24. August 1572 in Paris löst erneute zahlreiche Flüchtlingsströme aus. Wichtige protestantische Persönlichkeiten werden ermordet. Die Zahl der Todesopfer beträgt in Paris etwa 3.000 und auf dem Lande zwischen 10.000 und 30.000. Schließlich bringt 1598 das Edikt von Nantes eine zeitweilige Beruhigung der Lage, die jedoch nur bis zur Eroberung von La Rochelle (1628) anhält. Nach dem Tod Kardinal Mazarins übernimmt der "Sonnenkönig" Ludwig XIV. 1661 die Regierung und leitet eine groß angelegte mit Bekehrungs- und Missionierungsaktionen verbundene systematische Verfolgung der Protestanten ein, die er aufgrund der einsetzenden Flüchtlingswellen 1669 mit einem Emigrationsverbot verbindet und die schließlich in den berüchtigten Dragonaden 1681 ihren Höhepunkt finden. Trotz Verbotes verlassen im Laufe von etwa fünfzig Jahren ca. 200.000 Flüchtlinge ihre Heimat.
Im Edikt von Fontainebleau 1685 widerruft Ludwig XIV. das Edikt von Nantes. Wer nunmehr als Protestant erkennbar ist, wird mit Haft oder Galeerenstrafe belegt. Daraufhin begeben sich viele in eine Untergrundkirche und leisten teilweise in den Cevennen Widerstand (Camisarden). Dort kommt es in den Jahren 1703 bis 1706 zum Bürgerkrieg, worauf Ludwig XIV. über 400 Dörfer dem Erdboden gleich machen lässt. Das Psalmensingen und Bibellesen wird mit hohen Strafen belegt. Viele Menschen treten zwangsweise zum Katholizismus über, auch um den gefürchteten Dragonaden zu entgehen. Aber der Protestantismus lässt sich nicht ausrotten, weil die verfolgten und bestraften Protestanten als Märtyrer verehrt werden.

Da die Angehörigen der protestantischen Oberschicht, darunter die meisten Geistlichen, ins Ausland fliehen, wird die Kirche durch Laienpastoren geleitet, die sich durch eine göttliche Eingebung berufen fühlen. Deshalb kommen prophetische und ekstatische Formen der Religiosität auf. Sie werden in der Bewegung der Inspirierten in ganz Europa wirksam.
In den Nachbarländern fanden die besitzlos gewordenen Hugenotten, die zur leistungsfähigsten Schicht der Gesellschaft zählten, bei den Herrschern bereitwillige Aufnahme, Privilegien und Kredite, was in der übrigen Bevölkerung wiederum Unverständnis, Neid und Anfeindungen auslöste. Zumal stießen sie als Reformierte auf Lutheraner, so dass sie wiederum eine religiöse Minderheit verkörperten.

Zu den Ländern, die für etwa 200.000 Hugenotten eine neue Heimat wurden, zählen die Schweiz, die Niederlande, England, Deutschland und Amerika. So wurden mit dem Edikt von Potsdam vom 29. Oktober 1685 die reformierten Hugenotten im lutherischen Preußen aufgenommen.
Erst unter Ludwig XVI. schuf das Toleranzedikt 1787 eine neue Möglichkeit protestantischen Lebens in Frankreich." (Quelle Wikipedia)




Hinter der Kapelle der Blick ins Tal der Pau.



Nach wenigen Metern komme ich nach Arthez-de-Béarn, ein richtiges Städtchen mit vielen Geschäften, 1580 Einwohner.



Beim Ortseingang kommt mir Serge entgegen. Er kommt aus ... Belgien. Scheinbar ist der Winter in Belgien wenig attraktiv, wenn so viele Belgier im Winter auf dem Camino pilgern.
Angeblich ist er seit Jahren auf dem Camino unterwegs, gerade auf dem Weg nach Rom. Die neue Kleidung und Ausrüstung hat er nach eigenen Angaben von einem Bischof unterwegs erhalten.
Serge hat eine interessante Nachricht. Er hat heute Nacht in Arthez-de-Béarn im Gite übernachtet - zusammen mit Simon. Der hat folglich nur wenige Stunden Vorsprung, er ist auch früh losgelaufen. Vielleicht treffe ich ihn ja wieder.

Ich verabschiede mich von Serge, der Richtung Alpen läuft. Zuerst werde ich in ein Café gehen, ich habe mir ein echtes Frühstück verdient.




Nach einem schmack- und nahrhaften Frühstück mit Honigbrot und viel Café kaufe ich noch Lebensmittel ein. Dann geht es weiter, hinunter ins Tal. Die ganze Gegend riecht nach Benzin. Die Industriebetriebe, die ich auf dem Hügel gesehen hatte, sind wohl Raffenerien.



Maslacq, 10 km nach Arthez-de-Béarn. Zeit für das Mittagessen. Ich kaufe noch Bananen, Milch und Schokolade. Dann suche ich ausserhalb des Ortes einen schönen Sitzlatz, finde aber keinen und laufe weiter. Nach einer Weile werde von einem heftigen Wolkenbruch überrascht. Ich schaffe es in einen kleinen Geräteschuppen an einem Acker. Dort lasse ich mir das Mittagessen schmecken, während der Regen an den Schuppen prasselt.

So schnell wie er gekommen ist, ist der Regen auch wieder weg, genau wie gestern.



Ein Brunnen in der Nähe der Notre Dame de Muret, auf einem Vorsprung über dem Tal der Pau.



Deutlich sind nun die Industrieanlagen zu sehen. Sie wirken etwas unwirklich, nach den vielen rein landwirtschaftlichen Gebieten der letzten Wochen.



Und dann das: Ich verpasse eine Abzweigung und komme nach Lagot. Vielleicht ist es auch ein Freud'scher Verlaufer. Der eigentliche Weg führt über Sauvelade, aber der Reiseführer vermeldet dazu "Abtei Sauvelade (unfreundlich, Nachmittags geschlossen)". Das ist deutlich.



Von Lagor nach Navarrenx -dem nächsten Ort mit Gite- sind es 18 km entlang der Strasse. Erst eine kleine Landstrasse, dann eine grössere Verbindungstrasse mit viel Verkehr. Es fängt dazu wieder heftig an zu regnen. Ich könnte mir jetzt durchaus auch vorstellen, in einem Café zu sitzen. Zumindest solange, bis der Regen weg ist.
Sich selbst zu deprimieren hat natürlich keinen Sinn, daher frohen Mutes weiter. Ich lege die Reflektionsstreifen an, die ich in Figeac gekauft habe. Der Verkehr ist gefährlich, die Autofahrer sehen wenig durch das aufgewirbelte Wasser. Als ich dann endlich in Navarrenx einlaufe, bin ich froh, unbeschadet angekommen zu sein. Ob Simon auch hier ist?

Ich bin völlig durchnässt. Es gibt zwei Gites in Navarrenx, ich kann komischerweise keinen der beiden finden. Auf meine Fragen hin werde ich in eine Bar geschickt. Dort muss ich über eine Stunde warten, weil die Herbergsmutter nicht da ist, sondern nur ihre Tochter. Die Tochter lässt mich nicht in den Gite. Meine Kleider tropfen. Nach einer Weile ist es nicht mehr lustig, aber nichts zu machen. Hoffentlich hole ich mir keine Erkältung.

Dann endlich kommt die Mutter, ich darf in den Gite. Wozu ich warten musste, wird mir nicht klar. Aber gut, der Gite ist in einem normalen Haus mitten in der Stadt untergebracht. Und er ist luxoriös, mit kleinen Grupppen-Zimmern. Ich höre Stimmen aus der Küche. Simon! Und zwei andere Männer, sie sehen jedoch eher aus wie Landstreicher. Simon ist sehr überrascht, mich nach dem Ruhetag hier zu sehen. Ich habe in zwei Tagen knapp hundert Kilometer zurückgelegt. Das merke ich nun aber auch.

Ich dusche erstmal heiss, um wieder aufzutauen. Dann kochen wir, sitzen zusammen und erzählen. Die zwei Burschen gehen aus, wir bleiben im Gite. Recht spät für meine aktuelle Verhältnisse gehe ich schlafen. Innerhalb von Sekunden bin ich eingeschlafen.