Tag 37: Auvillar(F)-Lectoure(F), 8h, -6°C



Ich konnte nicht gut schlafen und lag lange wach, habe gelesen. Ich gehe morgens erst einkaufen, den Proviant auffüllen. Wenn ich schon dabei bin, hole ich mir auch frisches Baquette und frühstücke im Gite. Danach den Schlüssel abgeben, dann geht es gut gerüstet los.



Das Wetter ist anfangs schön, aber es weht ein eisig kalter Wind. Ich muss meine Ohren gegen die Kälte schützen. Auf St. Antoine freue ich mich, ich habe im Führer das Bild des interessanten Kirchenportals gesehen.



Das mozarabische Portal der Kirche in St.Antoine. In der Kirche selbst ist wieder ein Stilmix wie auf einem Flohmarkt. Neben der Kirche gibt es ein kleines Café, das auch Lebensmittel verkauft. Der Espresso und die Wärme tun mir gut. Nach einer kurzen Pause geht es weiter.



Eine wunderschön geformte, ruhige Landschaft liegt vor mir, auf dem Hügel gegenüber liegt Flamarens.



Nach einem steileren Anstieg, als es vorher den Anschein hatte, bin ich in Flamarens, Région Midi-Pyrénées, Département Gers. 146 Einwohner. Das Schloss im Bild ist privat, der Besitzer fährt hier gerade durch das Tor und verschliesst es dann. Besichtigen ist nicht möglich für mich.

Die Kirche links im Bild bildet glücklicherweise eine Ausnahme unter den Kirchen am Chemin de Compostelle:



Sie ist verfallen.
Für das Bild halte ich die Kamera durch das verschlossene Eingangsitter. Aussen am Gitter hängt eine Kasse, in die man Spenden für die Restaurierung werfen kann. Es wird wohl eine ganze Weile dauern mit den Arbeiten, wenn sie auf diese Spenden angewiesen sein sollten.



Nach einem weiteren Marsch komme ich dann nach Miradoux. Es ist Mittagszeit, alles ist geschlossen. Der Name klingt in meine Ohren sehr schön, er passt nicht ganz zu dem, was ich sehe. Vielleicht kommt es auch daher, dass es hier bitterkalt ist. Der eisige Wind macht es recht ungemütlich. Die Kirche ist immerhin intakt.



Die Kirche Saint-Ornes ist aus dem 13.ten Jahhundert, sie wurde aus Materialien einer älteren Burg gebaut. Nur der Turm der Burg steht noch - er wurde in den Kirchturm intergriert.

In der alten Markthalle esse ich etwas Brot und Käse, trinke dazu einen Liter Milch, den ich im Café von St.Antoine gekauft habe. Milch ist mein absoluter Getränke-Favourit, wenn ich mich in der freien Luft bewege. Das war schon immer so, auch bei Fahrradtouren früher.
Dabei liegt die Milch ja erstmal einigermassen schwer im Magen, aber ich habe grossen Appetit danach. Jo mei, wenn's schee mocht, fällt mir da nur ein.



Mittags wird es auf einen Schlag bedeutend wärmer, fast mild. Vielleich ist es eine Art Föhn, ich bin ja nicht mehr weit vom Gebirge entfernt. Es sind ungefähr 120 km Luftlinie zu den Pyrinäen. Ich laufe leicht schräg süd-westlich an diesem langgestreckten Gebirgszug entlang, bis ich ihn bei St-Jean-Pied-de-Port schneide.

Gegen 15 Uhr bin ich in Castet-Arrouy, einem kleinen Ort. Der Gite ist geschlossen. Ich muss nach Lectoure gehen, dort gibt wohl es ein Kloster zum Übernachten, allerdings ist laut Führer nur von April bis Juli geöffnet. Es gibt auch einen regulären Gite, der allerdings umgebaut wurde. Ob der schon fertig ist? Im Führer steht keine Telefonnummer bei diesem Gite, sonst hätte ich angerufen.

Nach Lectoure sind es rund 10 km.
Ich muss also die Handbremse aufmachen und schnell laufen, um vor 16.30 Uhr bei der Touristeninformation anfragen zu können, die schliessen wohl um diese Zeit. Falls die nichts vermitteln können, müsste ich noch einige Kilomenter anhängen.
In Rekordtempo laufe ich nach Lectoure. Grosse, schnelle Schritte. Es geht weiterhin recht hügelig auf- und ab, nach kurzer Zeit bin ich schweissgebadet.

Mit Mühe erreiche ich einige Minuten vor 16.30 die Touristeninformation. Sie hat geöffnet! Hätte sie allerdings in einer halben Stunde auch noch, hier hat bis 17 Uhr geöffnet. Egal.

Die freundlichen Damen versuchen zu helfen. Nach einigen Telefonaten werde ich jedoch nervös, Schulterzucken zeigt mir zwischen ihren Gesprächen, dass alles geschlossen ist. Ich werde doch nicht noch weitergehn müssen? Das würde mir heute nicht gefallen. Ich bin aber immer noch so am schwitzen und hecheln, dass ich mir erstmal keine weiteren Gedanke mache.

Endlich kommt Bewegung in die Mienen. Ich kann doch ins Kloster, sie nehmen mich auf in der Not, super! Ich bedanke mich herzlich und schaue mir erstmal die mächtige Kirche an, sie ist gleich neben der Touristen-Info.



Die Sonne scheint nun prächtig, es ist nichts von der Kälte zu spüren, die vor einigen Stunden noch über der Gegend lag.



Die Kathedrale St-Gervais war früher Bischofssitz, wie mit den riesigen gekreuzten Bischofsstäben im Chor jedem deutlich gemacht wird. Sie wurde zwischen dem 14. ten und 17. ten Jahrhundert an die Stelle eines römischen Tempels gebaut.



Der grosse Turm überragt den gepflegten Ort, der auch ein Heilbad hat. Leider ist das schon geschlossen, ich hätte mich gerne in einen Sole-Whirpool gelegt.



Dann gehe ich zum Kloster. Accueil chrétien au presbytère. Ich hoffe auf ein schönes Erlebnis wie in Conque oder gute Gesänge wie in Moissac. Der Anfang ist gut, ich erhalte ein kleine Schlafzelle in einem ansonsten wie immer menschenleeren Schlafsaal. Im Sommer geht es hier bestimmt anders zu. Schnell Duschen, gleich ist Vesper in der Hauskapelle.

Doch welche Enttäuschung. Kein kultureller oder liturgischer Höhenflug. Ungefähr 40 hochbetagte Nonnen und zivil gekleidete Damen sind in einem Seitenschiff der Kirche innerhalb des Klosters versammelt. Eine der Damen begleitet die wahrhaft dünnen Gesänge auf einer kleinen Orgel, die klanglich einer der verheerenden Bontempi-Orgeln aus den 1970-ern in nichts nachsteht.

Ich möchte dem Kloster ausdrücklich für die freundliche Aufnahme danken (!) und nicht schlecht über die Gastfreundschaft sprechen, dieser Teil des Abends war jedoch -zum Glück- einmalig.

Ich habe sogar einen Aussenschlüssel für das Kloster erhalten, was auch einmalig ist. Nach der Vesper gehe ich ins Ortszentrum, heute möchte ich mir etwas gönnen und gehe Essen, erstmals seit Genf. Ich finde auch ein Restaurant und wundere mich dann beim Essen über mich selbst - es ist ein auf Meeresfrüchte spezialisiertes Restaurant. Wie in den letzten 30 Tagen auch esse ich ... Fisch. Das Essen ist gut, der Wein ebenfalls. Zufrieden gehe ich zurück in mein Quartier und schlafe selig ein.