Tag 39: Condom(F)-Eauze(F), 9h



Ich habe gut geschlafen heute Nacht, die Matraze war recht neu und nicht durchgelegen. Nach dem Frühstück gehe ich in ein Café. Bei einer Tasse Kaffe schreibe ich Postkarten an meine Familie. Das mache ich normalerweise abends oder zwischendurch.

Desweitern kaufe ich in einem Bastelgeschäft Papier, um meinen Pilgerausweis zu erweitern, der fast voll ist. Täglich hole ich mir im Gite oder einer Kirche unterwegs einen Jakobsstempel ins Pilgerbuch.
Die Regel verlangt, dass man als Fusspilger die letzten 100 km vor Santiago mit Stempeln nachweisen kann, um vom Pilgerbüro als Pilger anerkannt zu werden und eine Pilgerurkunde, die Compostela zu erhalten. Die Tradition der Pilgerausweise geht auf die früheren Empfehlungs- oder Geleitschreiben zurück. In diesen Schreiben wurde um Hilfe und Unterstützung für den Pilger gebeten. Der Pilgerausweis dient aber gleichzeitig als Herbergsausweis. Nur mit diesem Ausweis ist es möglich, in Spanien in der Hochsaison in den Pilgerherbergen zu übernachten.



Ich mache eine kurzen Abstecher über Larressingle. Eine Burg, die weitgehend original erhalten ist.







Beim Weitergehen sehe ich auf einmal einen Wanderer vor mir. Zuerst als kleinen Punkt, der dann immer grösser wird. Die Person ist etwas langsamer als ich. Ohne den Abstecher wäre ich vorneweg gelaufen. Ich habe ganz gemischte Gefühle, das Alleinesein ist nun wohl vorbei. Es geht auch schon gegen Ende Februar, es werden nun wohl mehr Pilger unterwegs sein.



Nach einer Weile habe ich ihn dann eingeholt, als er zu einem Bauernhof abbiegt. Ich achte gar nicht auf die Markierungen und laufe einfach hinterher. Dabei geht er nur zu einem Bauernhof am Weg, um Wasser zu holen.
Dennik aus Antwerpen. Er ist seit dem 2. Januar unterwegs, in Le-Puy losgelaufen. Er schafft am Tag 20-25 km, was mich sehr beeindruckt. 20 kg Gepäck, einfachstes Material. Er übernachtet ausschliesslich im Zelt, irgendwo unterwegs. Gites sind ihm zu teuer, da er seit Jahren arbeitslos ist. Mit diesem Gewicht und dem Billigrucksack könnte ich keine 10 km insgesamt laufen ohne Bandscheibenvorfall. Ich bin sehr beeindruckt.

Wir laufen den restlichen Tag zusammen, gegen Ende des Nachmittags bleibt er bei einem ruhigen Wäldchen zurück, um sich was zu kochen und das Zelt aufzuschlagen. Ich gehe weiter, als Luxuspilger Richtung Gite.

Leute wie Dennik, sehr hart im nehmen und gesundheitlich scheinbar unverwüstlich, waren früher wohl ideal für Kreuzzüge, denke ich mir. Das mag überheblich klingen, aber es ist nicht schlecht gemeint. Ich laufe zwar selbst auch eine grosse Strecke im Winter, die vielen als verrückt erscheinen mag, aber ich habe erstklassiges Material, schlafe im Warmen und kann mir gute Ernährung leisten.

Dennik hat keine der Kirchen oder Kapellen besucht unterwegs, und sich somit auch nicht in die ausliegenden Pilgerbücher eingetragen. Daher war er mir auch nicht "bekannt". Einige Pilger laufen vor mir her, anhand der Datumsstempel kann ich mir ausrechnen, ob und wann ich sie vielleicht treffe unterwegs.
Dennis hat nach eigener Aussage keinen spirituellen oder geschichtlichen Hintergrund. Sein Bruder sei letztes Jahr gelaufen und hat ihm den Camino empfohlen, als Abenteuer.



Und dann ...



... dann sehe ich sie erstmals ...



... eine Gebirgskette am Horizont. Erst sind sie kaum wahrnehmbar, aber dann unverkennbar: die Pyrenäen! Ein grossartiges Gefühl! Vor wenigen Tagen über den Seerücken gelaufen am Bodensee, nun marschiere ich in Sichtweite der Pyrenäen.



Dann muss ich etwas schneller gehen, ich möchte heute nach Eauze. Die letzten Kilometer geht's im Dunkeln. Da der GR65 aber über ein ehemaliges Bahnbett führt, ist das gut zu machen. Ich hatte mich in der Touristeninformation in Condom bereits ankündigen lassen. Die Touristeninformation in Eauze ist zwar geschlossen, aber ich habe einen Zahlencode für die Eingangstür erhalten, um das Tastaurschloss öffnen zu können. Nicht schlecht, dieses Prinzip. Man spart sich die schwierig zu organisierenden Schlüsselübergaben zu frühen und späten Zeiten.



Der Gite in Eauze. Ich weiss nicht warum, aber ich fühle mich komischerweise etwas unwohl in diesem Haus. Nach dem Duschen hätte ich eigentlich richtig Lust auf ein Bier, wegen dem Fastenzeitbeschluss verkneife ich es mir jedoch. Stattdessen koche ich mir heisses Wasser. Leider sind jedoch keine Teebeutel da und ich habe auch keine bei mir. Dann halt pur. Ich koche mir auch etwas zu essen und gehe dann schlafen.