Tag 29: Conques(F)-Figeac(F), 11h, 6°C



Nach einem umfangreichen Frühstück und der Morgenmesse verlasse ich die Herberge, etwas wehmütig. Ein regnerischer Tag bahnt sich an. Auf halbem Weg vom Dorf ins Tal bemerke ich, dass ich den Schlüssel zu meinem Zimmer noch einstecken habe. Unbenutzt, ich habe das Zimmer nicht abgeschlossen. Also wieder zurück, zur Belohnung gibt es noch eine saftige Birne.
Dann aber wirklich los. Der Fluss im Tal führt leichtes Hochwasser.




Vom Tal dann ein steiler Anstieg auf die Höhe.
Noailhac, in dreissig Jahren von 300 auf 190 Einwohner.



Es regnet, ist ungemütlich und stürmisch. Die Kirche kommt genau richtig, erst einmal verschnaufen. Nachdem ich die Tür laut knarrend geöffnet habe, schauen viele Augen auf mich. Drinnen ist Beerdigungs-Gottesdient (Seelenamt). Jetzt kann ich nicht gleich wieder gehen und setze mich hinten in die volle Kirche. Die warme Heizung kommt genau richtig. Der Pfarrer ist der Prior aus dem Kloster, mit dem ich einige festliche Mahlzeiten verbringen durfte. Er erkennt mich natürlich und lächelt mir zu. Etwas später, in den Lobesreden auf den Toten, werde ich sogar namentlich erwähnt als Beispiel, dass der Weg des Lebens eine Pilgerschaft sei.

Auf einigen meiner früheren Reisen hatte ich die Möglichkeit, an Hochzeiten und Beerdigungen teilzunehmen. Das sind oft recht emotionale Ereignisse, die regional sehr unterschiedlich begangen werden. In Frankreich ist der Ablauf ähnlich wie in Deutschland. Überhaupt finde ich, dass die Franzosen und Deutschen einander recht ähnlich sind. Es gibt sicher Unterschiede in Essenskultur und anderen Dingen. Was Mentalität, Sauberkeit, Distanz, Umgang mit Tieren und der Natur betrifft, finde ich viel Übereinstimmung. Ist darin auch mit ein Grund für die Hass-Liebe zu sehen, die so viel Leid in den häufigen Deutsch-Französischen Kriegen der letzten Jahrhunderte gebracht hat?



Auf der Höhe, der Himmel klart auf. Blick von der Kapelle St-Roche hinter Noailhac über das Land.





Schöne Fenster in der Kapelle St-Roche.





Decazeville lasse ich auf Anraten des Reiseführers buchstäblich links liegen und bleibe auf dem Höhenzug.



Agnac. Ich werde langsam müde. Kein Geschäft oder Bar bisher.



Dann geht es runter ins Tal des Lot, Livinhac-le-Haut Région Midi-Pyrénées, Département Aveyron. Hier gibt es endlich einen Café, aber keine Möglichkeit einzukaufen. Montags ist Ruhetag.



Das letzte Foto für heute, Blick auf das Dorf Cognac, das ich kurz darauf passiere. In Montredon soll für heute Schluss sein. Ich bin froh, als ich ankomme.

Die Freude wärt allerdings kurz. Die Unterkunft ist geschlossen.

Ich könnte mich irgenwo drunterlegen, es gibt aber kein Geschäft oder Restaurant, wo ich noch was essen könnte. Ich habe zwar noch einen Rest Brot dabei, etwas Käse und Fisch, aber ich möchte nach einem solchen Wocheneinstieg doch was ordentliches und warmes essen. Es ist kurz vor 17 Uhr. Pro Stunde laufe ich normalerweise je nach Wegzustand rund 4 km/h. Es können aber bei voller Ausnutzung meiner Beinlänge und entsprechender Eile an die 7 km/h werden, das halte ich dann 2-3 h aus.

Auf dem Strassenschild an der kleinen Landstrasse steht ein Wegweiser, nach Figeac seien es 15 km. Figeac ist relativ gross, dort komme ich sicher unter. Ich habe bereits über 25 km in den Beinen heute, bin allerdings gut aufgepäppelt vom Ruhetag gestern. Ausserdem zieht eine schwarze Regenfront auf, hier irgendwo zu schlafen wird auch nicht gemütlich.

Also Regenhose und -jacke an, damit ich nicht stoppen muss unterwegs. Und ab.
Bei dem Tempo werde ich wohl zweieinhalb Stunden brauchen. Der Schweiss läuft mir nach kurzer Zeit schon aus den Ärmeln, wenn ich die Arme nach unten hänge. Dann kommt der Regen.

Regen? Das ist eine Wasserwand. Waagrecht von vorne. Selten habe ich mich so durchnässt gefühlt. Im Sommer hätte ich wohl am besten in Badehose laufen können, dazu ist es jetzt etwas zu frisch. Aber ich würde dampfen wie eine kochende Kartoffel!
Ich laufe gegen die Dunkelheit und gegen die Wasserwand an. Nach einer Stunde schreie ich meinen Frust raus und brülle Petrus an.
Kurz danach ist es windstill, nur von den Blättern tropft noch Wasser. War ich das?!? Wenn man längere Zeit alleine in der Natur ist, ihr ausgeliefert ist, hat man einen anderen Zugang zu den Dingen.

In Dunkelheit auf einer gefährlichen Einfallsstrasse komme ich im Abendverkehr endlich nach Figeac. Meine Füsse glühen, meine Beine schmerzen. Ich kann die Vorwärts-Bewegung kaum stoppen, als ich endlich ankomme. Eigentlich möchte ich ins Accueil Chrétien au Carmel de Figeac, einem Kloster. Vielleicht komme ich so herrlich unter wie gestern in Conque. Als ich es endlich finde, komme ich jedoch nicht mal durch die Gesichtskontrolle ins Innere des Gebäudes, die Tür schlägt vor mir zu. Mithilfe einiger Passanten finde ich nach einer weiteren Weile eine Pension für Fernfahrer und Fernarbeiter, Gite de la Voie Romaine. Kein Gite, wie ich sie bisher kenne. Hier wohnen Leute von überall her, die die Woche über in der Region arbeiten.
Ich habe mächtigen Hunger, kriege auch eine grosse Portion. Der Kreislauf rotiert allerdings noch dermassen, dass ich fast nichts essen kann.

Später sitze ich noch etwas mit zwei Arbeitern aus Rumänien, einem Mädchen und einem Jungen. Wir sitzen lange und lachen. Sie haben hier grosse Langeweile, monatelang deponiert in einem Projekt.

Die Nacht ist unruhig, die Beine glühen.