Tag 4: Tobel (CH)-Steg (CH), 8h, -3°C



Nach einem guten Frühstück geht es weiter. Der Morgen ist diesig, ich werde heute die Sonne wohl nicht sehen. Immerhin kein so eisiger Wind mehr wie gestern.
Gusseisernes Kreuz nach Tobel, im Hintergrund grosse Treibstofflager. Man riecht die Benzine im Wind wesentlich stärker, als ich erwartet hätte.



Die Jakobsmuschel (Pecten maximus) ist das Symbol des Hl. Jakob, des Älteren. Pilger hefteten sie früher zum Beweis Ihrer Pilgerschaft in Santiago auf Ihre Kleidung für den Rückmarsch.
Auch heute ist die Muschel ein beliebtes Symbol auf dem Jakobsweg. Leute, die Jakobsmuscheln auf ihren Türbalken oder Gärten anbringen, stehen den Pilgern üblicherweise mit Rat und Tat gerne zur Verfügung.
Die Muschel im Bild oben ist die erste echte Jakobsmuschel, die ich am Weg entdecke, und erfreut mich sehr.



Die Sonne kämpft, aber sie findet den Weg nicht durch in den Thurgau.



Kleine Kapelle am Weg von 1715 am Ortsrand von St.Margarethen. Auf dem Kreuz ist ein sogenanntes Lothringer Kreuz (frz. Croix de Lorraine oder Croix d'Anjou) angebracht.



Als ich in St.Margarethen an dieser kleinen Kirche vorbeikam, begann es zu schneien. Die Türe ging auf, und einige Leute kamen aus der Kirche, der Morgengottesdienst war eben zuende gegangen. Ich ging in die Kirche hinein, um etwas zu verschnaufen. Der Pfarrer sah mich und kam auf mich zu. Er war erstaunt, um diese Jahreszeit einen Pilger begrüssen zu können und zeigt mir die Kirche.



Sie ist erst vor einigen Jahren grundlegend renoviert worden, bei diesen Arbeiten wurden überraschend Fresken freigelegt. Zuerst war man wenig erfreut, da die Kosten sprunghaft stiegen - der Denkmalschutz verbot es, die Fresken einfach wieder zu übertünchen.
Heute freut sich die Gemeinde, ein solch schönes Kleinod zu haben.



Die Kirche liegt seit alters her direkt am Jakobsweg. Früher wurde die Kirchentür zu keiner Zeit abgeschlossen, um Pilgern in der Kirche Unterkunft zu bieten. Damit sie nicht die Kirche ruinierten oder ausräumten, war zwei Meter nach der Türe die Kirche mit einem Holzgitter abgetrennt, das heute nicht mehr vorhanden ist. Genug Platz ist jedenfalls zum Schlafen, genug Sicherheit für den Kirchenschmuck.
Die Pilger hinterliessen Graffitis auf den Wänden, diese wurden nun ebenfalls im Rahmen der Renovierung freigelegt. Schmierereien mit Namen und Jahreszahl. 1645 lese ich an einer Stelle.



Weiter geht es, entlang vereisten Wegen und Bächen.



Dussnang-Oberwangen, die barocke Martinskapelle aus dem 11./12. Jhd auf einem Hügel. Wegen Vandalismus-Gefahr verschlossen. Schlüssel bei Nachbarn erhältlich, das steht aber nicht unten an der steilen Treppe, sondern oben an der Tür. Das ist mir dann doch zuviel, ich laufe weiter.



Das Ort und das Kloster Fischingen, im sogenannten Tannzapfenland. Es ist Mittagszeit, wäre schön, wenn ich im Kloster essen könnte.
Der Weg ist so glatt, dass ich in der Wiese laufen muss. Ich merke, als ich unten bin, dass ich oben mein Stirnband verloren hab. Also nochmals die Wiese hoch- und runterstapfen.



Das Benediktinerkloster Fischingen wurde 1138 vom Konstanzer Bischof Ulrich II. gegründet. Es wurde 1848 aufgehoben (in Deutschland war Säkularisation und damit Aufhebung der Klöster bereits 1803). Die Gebäude des Klosters wurden an einen Textilfabrikanten verkauft. Später bestand im Konvent eine Handelsschule.
Nach der Aufhebung des so genannten "Ausnahmeartikels" in der schweizerischen Bundesverfassung 1973, der die Errichtung neuer bzw. die Wiederherstellung aufgehobener Klöster verbot, wurde 1977 das Kloster Fischingen in den alten Gebäuden wieder errichtet.

Unterhalb des Altars der Hl.Idda im Bild oben ist eine kleine Öffnung zu sehen. Es ist Pilgerbrauch, die Schuhe auszuziehen und die Füsse dort hineinzuhalten, Beschwerden würden dann gelindert. Ich kann mir eine Kühlung der heissen Füsse im Sommer auch als sehr angenehm vorstellen. Ich spare mir diesen Brauch und bin froh, wenn ich mich nicht bücken muss zum Schuhe an- oder ausziehen.



Der Klosterhof mit schönem Brunnen. Mittagessen für mich ist im Kloster nicht möglich, es ist übrigens modern ausgebaut und bietet Business-Komfort für Meetings oder Seminare.
Die Patres und Ihre Gäste tragen gerade das Essen ab. Schade, wenn ich das Stirnband nicht verloren hätte, hätte es wohl geklappt. Im Kloster kaufe ich ein naturbelassenes Früchtebrot aus steingemahlenem Mehl, ohne Konservierungsstoffe, lange haltbar. Kostet 10 SFR, hoher Preis, der für mich durch das grosse Gewicht bei kleinem Volumen gerechtfertigt scheint - rustikaler Ansatz. Und in der Tat, das Brot hat einen hohen Nährwert. Die letzten Reste werde ich tief in Frankreich essen.



Nachdem ich gegenüber des Klosters in einer Gaststätte gegessen habe, geht es weiter. Weiterlaufen nach einem Aufenthalt in einer herrlich warmen Gaststube ist eine kleine Überwindung. Die Kleider sind feucht vom Schweiss und dem Nieselregen.



Das Dorf Au, ein Anstieg hat mich ordentlich aufgewärmt nach der Rast in Fischingen.



Kurze Einkehr in der St.Anna Kirche in Au.



Dann beginnt der Aufstieg. Der Weg geht hoch zum Hörnli, einer Passhöhe von 1133m. Fischingen war noch auf 625 m. Mit der Höhe steigt die Schneetiefe.




Ein Leben in dieser Umgebung, die von Naturgewalten geprägt ist, und bis vor wenigen Jahrzehnten auch von Armut geschlagen war, vertieft wohl die Beziehung zu religiösem Brauchtum und der Suche nach Schutz und Geborgenheit.



Es wird jetzt winterlich, wie man es sich in den Bergen vorstellt.



Das Wetter wird dunkler, ich komme zum Glück jedoch nicht in einen Schneesturm.



Die Grenze zwischen den Kantonen Thurgau und Zürich bedeutet auch das Ende der Wegstrecke mit den weissen Schwabenweg-Schildern, an die ich mit gewöhnt habe. Der Kanton Zürich findet, dass eine solche weisse Wegmarkierung nicht ins Schweizer Beschilderungssystem passt (welches im Übrigen hervorragend ist!). Touristische Schilder, und der Jakobsweg fällt nach Ansicht der Zürcher hierunter, haben gefälligst in der Farbe Braun für Touristen beschildert zu sein. Keine Extrawürste, bitte.
Mich erstaunt -obwohl ich 10 Jahre in der Schweiz gewohnt habe- die offensichtliche Disharmonie zwischen den Kantonsregierungen, die hier offen zur Schau gestellt wird.



Kurz danach komme ich nach einem steilen und glatten Endstück am Bergrestaurant auf dem Hörnli an. In anderthalb Tagen von 400 Höhenmetern am Bodensee auf über 1100m am Hörnli, ich bin zufrieden.



Drinnen grosser Trubel, das Restaurant ist voll mit Rodlern, die von hier die Strasse abwärts rodeln und erst noch den einen oder anderen Mutmacher trinken. Obwohl ich erst so kurz unterwegs bin, merke ich, wie stark ich schon an die Ruhe gewöhnt bin. Ich trinke eine Kaffee, dann geht's weiter.




Endlich wieder alleine. Die Strasse und später die Pfade sind hier spiegelglatt.



Sogar die Witterung spielt mit und zeigt einige Lichtspektakel.



Das Abwärtslaufen ist sehr anstrengend und auch gefährlich wegen des Eises. Kurz nach der Aufnahme stürze ich und rutsche unbremsbar bis in die Kurve vorne, quer über die Strasse. Später wird es auf den Pfaden noch schlimmer. Einige sind Hohlwege, und wie ein Eiskanal komplett vereist. Ich muss auf der Hose rutschen, mit dem Rucksack auf dem Rücken. Normalerweise würde mir das Spass machen, aber hier, alleine unterwegs und mit dem Ziel vorwärts zu kommen, ist der Spass nicht ganz so gross.



Hier starb, wie an der Muschel erkennbar ist, der Jakobspilger Erich Müller am 12.9.1995. Ich finde später keine Dokumentation über die Todesursache im Internet oder einem Reiseführer. Es ist wohl nicht der schlechteste Tod, hier oben in der Einsamkeit und Schönheit der Natur - denke ich mir und versuche dann aber trotzdem, schlimmere Stürze zu vermeiden.



Ankunft im Tal, im Ort Steg im Tösstal. Es ist später Nachmittag. Nachdem ich heute eigentlich nur bis zum Hörnli kommen wollte, und nun sogar noch den Knie-intesiven Abstieg gemeistert habe, werde ich mir hier eine Unterkunft suchen.



Pensionen oder gar Hotels sind mir zu teuer, ich finde äussert herzliche Aufnahme mit Familienanschluss in einem original alten, schweizerischen Bauernhof bei der Familie Gafner-Rüegg. Sehr empfehlenswert! (Marcel und Karin Gafner-Rüegg, 055-2451525)

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Danke für den Interessanten Beitrag.Wohne in der nähe des jakobsweges in Bussnang.

12/31/2010 1:13 AM  

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