Camino. Mein Jakobsweg von Konstanz nach Santiago de Compostela im Winter. Eine Bildergeschichte.

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In diesem Reisebericht beschreibe ich meinen persönlichen Jakobsweg. Ich habe den Weg von Januar bis April 2006 gelaufen, von Konstanz in Deutschland nach Santiago de Compostela in Spanien.

Die Strecke von Konstanz nach Einsiedeln auf dem sogenannten Schwabenweg ist an sich bereits ein ausgewachsener Pilgerweg, für mich war sie jedoch eher eine Teststrecke. Ich habe keine französischen oder spanischen Sprachkenntnisse und die Jahreszeit ist nicht ganz optimal zum Laufen. In der Schweiz hätte ich mir bei Problemen leichter helfen können, Ausrüstung austauschen oder bei Bedarf erweitern.

Von Einsiedeln nach Genf bin ich mit dem Zug gefahren, weil das Laufen in den Bergen wegen der Witterungsverhältnisse zu gefährlich war. Oft waren die Bergpfade vereist, meist von einer dünnen, frischen Schneeschicht überzogen, sodass ich spiegelglatt vereiste Stellen nicht erkennen konnte. Einige Stürze waren die Folge. Mit einem Rucksack auf dem Rücken, alleine unterwegs in den Bergen, ist das kein Spass. Auch wollte ich kein Risiko eingehen, wegen Leicht- oder Starrsinn den Camino mit einem Gips am Fuss im Bett vertauschen zu müssen.

Von Genf nach Santiago -eigentlich über Finisterre bis nach Muxia- bin ich dann durchgehend gelaufen. Kein Zug, kein Bus, kein Auto, kein Karren. Füsse.

Warum ich den Bericht schreibe? Ich konnte im Vorfeld bei den Träumereien und später den Vorbereitungen viel von Erfahrungen anderer Pilger profitieren, und möchte meine Erfahrungen nun ebenfalls einbringen und somit meinen Dank ausdrücken. Im Sommer laufen Tausende den Camino, es gibt entsprechend viel Informationen und Berichte. Reiseerfahrungen über eine Pilgerschaft im Winter sind nicht so häufig.

Viel Spass!

Tag 1: Amsterdam (NL)-Külsheim (D), -2°C



Im Intercity komfortabel von Amsterdam nach Frankfurt gereist. In Frankfurt dann umsteigen auf einen Regionalzug nach Aschaffenburg. Dort ein kleiner Aufenthalt, dann weiter in einem Bummelzug entlang des Mains, dann der Tauber nach Bronnbach.



Ich werde über 2000km zu Fuss unterwegs sein. Tagebuch möchte ich schreiben, nehme mir zur Dokumentation jedoch auch vor, von allen durchquerten Ortschaften möglichst Bilder des Ortschilds zu machen. Was nicht immer gelingen wird, da ich oft nicht auf dem Hauptweg zu einem Ort reinkomme.

Im Konventbau des Klosters Bronnbach befindet sich seit dem Jahr 2000 eine Ordensniederlassung der Kongregation der "Missionare von der Heiligen Familie" mit polnischen Padres. Im ehemaligen Stallgebäude ist die Außenstelle des Instituts für Silicatforschung der Fraunhofer-Gesellschaft.

Geistiges aller Ebenen.



Im Kloster lasse ich mir den ersten Stempel in meinen Pilgerausweis machen. Das wird dort wohl nicht allzu oft verlangt, der Bruder ist ganz erstaunt.

Ich übernachte in Külsheim, in der Nähe von Bronnbach. Meine ersten 7 km zu Fuss! Es ist kalt, bei klarer Luft. Während ich unterwegs bin beim Aufstieg aus dem Taubertal auf die Höhe, wird es dunkel.

Was für eine Stimmung! Winter, Kälte, Stille.

Tag 2: Külsheim (D)-Konstanz (D), -12°C



Die Nacht war klar, daher ist es sehr kalt am Morgen. Ich werde heute im Auto nach Konstanz gefahren, meinem Startpunkt am Bodensee. Wir planen dem süddeutschen Jakobsweg zu folgen, der über Würzburg, Rothenburg, Crailsheim, Ulm, Weingarten nach Konstanz führt.

Wir werden über Tauberbischofsheim, Bad Mergentheim nach Crailsheim fahren, um auf diesen Jakobsweg zu stossen.



Auf der Höhe nach Bad Mergentheim ist es bitterkalt. Ein sonniger Wintertag mit klarer, kalter Luft und entsprechend guter Sicht. Die Kälte nimmt fast den Atem, wenn man aus dem Auto steigt.



Schainbach ist ein kleiner Weiler, mit ein paar Bauernhöfen und einer alten Kirche. Den Schlüssel gibt es beim Nachbarn.



Die evangelische Kirche in Schainbach ist dem heiligen Jakob geweiht, ein beinahe untrügliches Zeichen dafür, dass der Jakobsweg im Ort vorbeiführt.



Einige Kilometer hinter Schainbach steht bei Wallhausen die Anhäuser Mauer. Mitten auf dem Acker sind die Reste des Chorraums eines Pauliner-Eremitenklosters, von dem weiter nichts geblieben ist als eben diese Mauer. Nichts in der Umgebung deutet sonst auf eine Siedlung hin, nur Wald und Ackerland.



Weiter geht es nach Crailsheim, einer Stadt auf der Hochebene im Hohenlohischen. Schwer von Kriegsschäden getroffen, hat die Johannes Kirche mit einer Jakobsdarstellung auf dem Altar glücklicherweise die sogenannte Schlacht um Crailsheim überstanden, bei der am 20. April 1945 die historische Innenstadt zu 95 % zerstört wurde.






Der Altar aus der Werkstatt von Michael Wolgemut, dem Lehrer Albrecht Dürers (Nürnberg, Ende 15.Jh.) zeigt auf der Rückseite ein Bild des Jakob in Pilgerkleidung und mit Muschel.



Schiff der Johanneskirche, im Stil einer spätgotischen Bettelordenskirche der Franziskaner, 1398 bis 1440 erbaut, mit dem alten Taufstein.



Nach etlichen Kilometern durch das herrlich winterliche Süddeutschland kommen wir in Ulm an. Das Ulmer Münster hat mit seinem 162m hohen Turm den höchsten Kirchturm der Welt aufzuweisen. Erbaut wurde das Münster über einen langen Zeitraum von 1377 an.



Trotz des Bildersturms im Zuge der Reformation, bei dem die meisten Kunstschätze zerstört wurden - inklusive 60 Altären und dem Hauptaltar, ist das Innere der Kirche immer noch sehr beeindruckend.






In Ulm stösst der historisch bedeutsame Jakobsweg aus Nürnberg auf den Weg aus Würzburg. Auf dem Nürnberger Weg kommen Pilger aus dem Osten Europas, beispielsweise via Tillyschanz.






Die schwäbische Alb unter Schnee.



Nach weiteren 60km Ankunft im Kurort Bad Waldsee, der auch auf dem Jakobsweg liegt. Für Fussgänger und Radfahrer ist der Weg voll ausgeschildert.



Die Stiftskirche von Bad Waldsee.



Weiter geht es nach Weingarten, zur Benediktinerabtei St.Martin. Das Kloster und die Kirche sind eine Hauptsehenswürdigkeit der Oberschwäbischen Barockstraße. Später in Einsiedeln werde ich die grosse Ähnlichkeit der Bauwerke feststellen.



Es ist hier so kalt, dass sogar das Weihwasser im Vorraum der Kirche eingefroren ist.



1715-1724 wurde die große, reich ausgestattete, barocke Klosterkirche neu erbaut, die seit 1956 den päpstlichen Ehrentitel Basilika (Basilica minor) trägt. Sie sollte inmitten einer idealtypischen Klosteranlage stehen. Der Idealplan des Klosters konnte jedoch nur teilweise in die Wirklichkeit umgesetzt werden.



In der Kirche sehe ich eine interessante Abbildung von Maria mit ihrem Kind im Arm an einem Pfeiler. Was mögen die Symbole bedeuten?

Inzwischen weiss ich mehr:

"In der Offenbarung des Johannes sieht der Glaube das Geheimnis der lmmaculata dargestellt:
'Ein großes Zeichen erschien am Himmel: eine Frau mit der Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt einen Kranz von zwölf Sternen' (Offb 12, 7).
Auf dem vorliegenden Bild fehlen die Sterne und die explizite Darstellung der Schlange, die durch einen nach unten schauenden Kopf ersetzt ist.

Maria ist mit der Sonne umkleidet, wir sehen die Strahlen von ihrem Leib ausgehen. Mit der Sonne umkleidet sein heißt: mit Christus umkleidet zu sein. Nicht mit einem äußeren Gewand, sondern mit dem, was im Innern ist und nach außen sichtbar wird. Die wahre Schönheit des Menschen ist die, die von innen kommt.

Maria steht auf dem Mond. Der Mond ist Symbol für die Unbeständigkeit, da seine Gestalt immer wieder wechselt. Gemeint ist die Unbeständigkeit und Wankelmütigkeit des Menschen vor Gott. Sie ist bei Maria nicht zu finden. Die Schlange als Symbol des Versuchers und seiner Macht über den Menschen, hängt zu Füßen Marias (hier der Kopf anstelle Schlange) .

Da Gott Maria dem Herrschaftsbereich des Bösen entzogen und selbst Wohnung in ihr bezogen hat, wurde symbolhaft in Maria der Schlange der Kopf zertreten. Damit begann die Erfüllung der Verheißung an Eva, dass der Spross der Frau der Schlange den Kopf zertreten werde (vgl. Gen 3, 15)." nach http://mariendom.de/gnadenbild/gnadenbild.html




Im Seiteschiff der Kirche ist noch eine grosse Krippe aufgebaut, das Lebenswerk eines lokalen Künstlers, eines Schäfers.



Bei Meersburg setzen wir in der untergehenden Sonne mit der Fähre über den Bodensee. Zurück in Konstanz, das ich seit vielen Jahre kenne und wo ich einige Jahre als Student gewohnt habe.

Ich bin an meinem Ausgangsort angekommen. Was wird die kommende Zeit bringen?

Tag 3: Konstanz (D)-Tobel (CH), 8h, -3°C



Habe auf dem Bodanrück übernachtet, in der Jugendherberge. Im Vorfeld hatte ich sogar noch einen Jugendherbergsausweis erworben, trotzdem nehmen sie noch 26€ für die Übernachtung. Es war eine der teuersten der ganzen Reise.

Der See ist wie üblich um diese Jahreszeit mit einem kalten und feuchten Nebel bedeckt, der sich über Konstanz legt. Immerhin ist er nicht so dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sieht. Mit Blick auf den Bodensee geht es über den See-Rhein in die Stadt.



Zu meiner grossen Überraschung finde ich, erstmals seit ich Konstanz kenne -und das ist 15 Jahre her- das Münster ohne Baugerüst am Hauptportal vor. Grossartig! Im Münster findet gerade ein Gottesdienst statt. Mein Abschied aus Deutschland.

Es sind übrigens auch bereits die ersten Zeichen der alemannischen Fasnet zu sehen.



Und das ist ein Grund meiner Reise: Der Jakobsweg-Wegweiser vor dem Münster. Wie oft stand ich hier und träumte von diesem Weg. Er ist so lang, dass er unwirklich erscheint. Wer hat schon soviel Zeit? Und wenn er dann soviel Zeit hat, wer hat noch soviel Gesundheit?
1950km sollen es von hier sein. Im Pfarrbüro, beim Abholen des Stempels, können sie mir allerdings nicht sagen, über welche der Routen dieser 1950km Weg verlaufen soll. Ich kann es rechnerisch nicht nachvollziehen. Muss einiges mehr sein.

Übrigens bin ich der erste Pilger nach Santiago in diesem Jahr in Konstanz. Das hatte ich nicht erwartet! Es ist der 25. Januar.



Nach Konstanz geht es über die Grenze nach Kreuzlingen, die ich schon so oft gegangen bin. Komisches Gefühl, hier zu laufen ohne echte Vorstellung davon zu haben, was mich die nächsten Monate erwartet. Die Welt um mich in der Stadt wirkte geschäftig, die Stimmung war, vielleicht durch den Nebel, ruhig und gedämpft. Ich erlaube mir, mich eine Weile aus dieser Welt auszuklinken und einfach loszulaufen. Und meine Familie erlaubt es mir ebenfalls. Danke!

Schauen die Leute in Konstanz und Kreuzlingen mich komisch an, weil ich offensichtlich nicht auf dem Weg zu einer Arbeit bin, oder bilde ich mir das nur ein?



In Kreuzlingen geht es steil hoch auf den Seerücken. Der Jakobsweg von Konstanz nach Einsiedeln heisst Schwabenweg, und ist als solcher auch hervorragend ausgeschildert.
Innerhalb kurzer Zeit verändert sich die Umgebung, es wird wesentlich kälter und es liegt etwas Schnee.



Ich bin unterwegs in der Schweiz. Nicht zu übersehen.



Ellinghausen im Thurgau.



Lippoldswiler. Schneidend kalter Wind, ich bin froh, dass ich mir eine sehr gute Ausrüstung geleistet habe. Alle Klappen dicht, damit der Wind keine Chance hat. Obwohl es an offenen Hautstellen (d.h. nur im Gesicht) so kalt ist, dass es schmerzt, bin ich unter all den Lagen am Oberkörper nassgeschwitzt.



In Waldstücken ist es gleich angenehmer, der Wind kommt kaum durch die Bäume.



Omen?



Eines der schönen Thurgauer Fachwerkhäuser unterwegs.



Märstetten. Ich habe grossen Hunger, aber alle Gaststätten scheinen geschlossen. Der Schwabenweg führt fast durchwegs über Wege, die stark verkehrsberuhigt sind, also meist auch nicht durch das Zentrum der Orte.



Die evangelische Jakobskirche in Märstetten. Eine Stempel für das Stempelbuch liegt aus. Ist das angenehm, ein paar Minuten im Warmen sitzen zu können und den Rucksack abzulegen!



Die Kirche von Innen, die Fresken wurden bei einer Renovierung überraschenderweise freigelegt.



Amlikon, auf der Brücke über die Thur.



Amlikon Ansicht.



Hünikon.



Typisches Bild an einem Hof unterwegs. Die Schweiz betreibt ein hochsubventioniertes Kleinlandwirtschaftssystem mit strengen Quoten, beispielsweise auf der Milchleistung.



Kapelle bei Kaltenbrunnen, leider verschlossen.

Update Oktober 2011 von Andrea Isler-Stulz: "Wenn die Kirche in Kaltenbrunnen verschlosssen ist wohnt im Bauernhaus neben der Kirche die ältere Dame die den Schlüssel wie auch den Stempelaufsicht hat. Frau Marianne Feuz geht es nach einer Operation wieder sehr gut. Während dem Spitalaufenthalt haben meine Eltern die Pilger von Frau Feuz beherbergt. Seit kurzem haben meine Eltern Dorli und Fredi Stulz, Sonnenhügel 15, 9554 Tobel-Tägerschen auch einen eigenen Pilgerstempel. Auf Anfrage werden Pilger abgeholt und versorgt, pilgerzimmer-dfs@thurweb.ch, +41(0)71 917 11 82.



"Ohne Gott alles Spott". Ist mir nie aufgefallen, war früher viel mit dem Mountainbike in dieser Gegend unterwegs.



Johanniter-Komturei in Tobel, meinem Zielort für heute.

"Als Folge eines Brudermordes auf dem toggenburgischen Grafsitz Rengerswil bei Wängi wurde 1228 eine Niederlassung (Komturei, Kommende oder Ritterhaus) des während der Kreuzzüge entstandenen Johanniterordens gegründet. Zum Stiftungsgut gehörten auch die Burgen Heitenau und Allenwinden bei Tobel. Verbindungen bestanden mit dem mittelalterlichen Pilgerweg von Konstanz nach Einsiedeln (Schwabenweg). Aus diesen Strukturen hat sich im Laufe der Zeit das Dorf Tobel entwickelt. Der dreiflügelige Bau des berühmten Barock-Architekten Johann Caspar Bagnato ersetzte 1747 die alte Komturei. Nach der Auflösung des Ordens 1807 wurden dessen Niederlassungen herrenloses Gut. Die Komturei fiel an den Kanton Thurgau, der in den Gebäuden eine Zucht- und Arbeitsanstalt einrichtete und laufend ausbaute. Nach der Aufhebung 1973 wurden die nach 1811 erstellten oder massiv umgebauten Gebäude abgebrochen." Quelle http://www.komturei.tg.ch







Zur Komturei gehört eine Kirche mit Friedhof.



Eher kitschig in der Kirche - aber warm ...



... und mit interessanten Weihnachtskrippen. Bethlehem wird kurzerhand in die Bergwelt verlegt.


Übernachte in einer privaten Pension bei einer verwitweten Dame. Heiss duschen, eine Wohltat! Essen gehen, dann ab ins Bett. Die Nachtruhe ist allerdings nicht wirkliche eine Ruhe, der Kreislauf rotiert, die Füsse glühen, wache oft auf.


Die Dame wird in einigen Tagen künstliche Kniegelenke erhalten, wie sie mir beim Frühstück am nächsten Morgen erzählt. Sie hat grosse Angst vor der Operation. Sie träumt vom Bergwandern, hat mit ihren schlechten Knien im letzten Jahr sogar noch eine kleine Wanderung in den Bergen gemacht, bis es nicht mehr ging vor Schmerzen. Allerdings hatte keine der Freundinnen Zeit, sie zu begleiten. Das findet sie jetzt noch schade.

Ich muss oft an sie denken unterwegs.